Zum Artikel springen

Knappschafts Hauptverwaltung

Die „Knappschaft“


Die ersten Knappschaften – die Gesamtheit der ein Bergwerk betreibenden Bergleute – entstanden bereits im 13. Jahrhundert als Einrichtungen zur Unterstützung und gegenseitigen Förderung der Knappen im böhmischen Erzbergbau und dehnten sich bis ins 16. Jahrhundert auch auf die anderen deutschen Bergbauregionen aus. Sie besaßen in dieser Zeit sowohl die Funktion einer Versicherungskasse als auch einer Gewerkschaft im heutigen Sinne bzw. einer Standesvertretung. Diese Funktionen resultierten aus der Gefährlichkeit und Unfallträchtigkeit des Bergbaus als auch aus dem Gemeinschaftsgedanken der Bergleute, die angesichts der großen Bedeutung der Förderung und Verarbeitung von Metallen für die Finanzierung und das Militärwesen der frühneuzeitlichen Territorien einen besonderen Status genossen. So besaßen sie mitunter zahlreiche Privilegien wie Befreiung von Militärdienst, Niederlassungsfreiheit oder Steuerfreiheit. Typisch für die frühen Knappschaften, die im 18. Jahrhundert auch Regionen des Steinkohlenbergbaus erreichten, war ihre enge lokale Begrenzung bzw. auf einzelne Bergwerke.

Die Anfänge der Knappschaft im Ruhrgebiet gehen zurück auf die Revidierte Kleve-Märkische Bergordnung von 1767, die die Gründung einer solchen Institution vorsah, nachdem ähnliche Ansätze in den zwei Jahrzehnten zuvor im Sande verlaufen waren. Es dauerte jedoch noch drei Jahre, bis 1770 der Märkische Knappschaftsverein für alle preußischen Bereiche des späteren Ruhrgebiets entstand. Als mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 die säkularisierten Stifte Essen und Werden sowie die Herrschaft Broich (Mülheim) an Preußen fielen, wurde die märkische Knappschaftsordnung auch hier angewandt. Das galt auch für die Stadt Dortmund, die 1813 zu Preußen gekommen war. 1807 bildete sich der Essen-Werdensche Knappschaftsverein und 1842 schließlich der Mülheimer Knappschaftsverein.

Von der Liberalisierung des preußischen Bergbaus seit Anfang der 1850er-Jahre, die die bis dahin übliche vollständige „Direktion“ des Staates, d. h. die Leitung der Zechen, zugunsten einer reinen „Inspektions-„ bzw. Aufsichtstätigkeit beseitigte, war auch das Knappschaftswesen betroffen. Im „Knappschaftsgesetz“ von 1854 wurde nicht nur erstmals eine Knappschaftspflicht für alle Bergleute festgeschrieben, sondern auch der Grundsatz einer paritätischen Finanzierung durch „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ verankert. Damit bestand im Bergbau bereits 30 Jahre vor den Bismarck’schen Gesetzinitiativen der 1880er-Jahre eine Sozialversicherung modernen Zuschnitts. Die neuen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherungsgesetze führten in diesem Jahrzehnt zur Gründung von Bergbauberufsgenossenschaften als Träger der Unfallversicherung und damit auch zur Änderung und Anpassung des knappschaftlichen Aufgabenspektrums, das nun die Kranken- Pensions- und Invalidenversicherung umfasste. Um dieses besser bewältigen zu können und die eigene Position zu stärken, schlossen sich die drei Knappschaftsvereine am 1. Juni 1890 zum Allgemeinen Knappschaftsverein zu Bochum zusammen. Die Zuständigkeit des Vereins umfasste mit wenigen unbedeutenden Ausnahmen das gesamte Gebiet des Oberbergamtsbezirks Dortmund zwischen Düsseldorf und Emmerich im Westen bis nach Minden im Osten, von Meinerzhagen im Süden bis zur Nordsee.

Der seit Ende der 1890er-Jahre rasant expandierende Bergbau führte bei der Knappschaft zu ständig steigenden Mitgliederzahlen mit entsprechender Ausdehnung der Verwaltungsaufgaben. Waren 1900 noch 235.000 Bergarbeiter mit ihren Familien zu betreuen, waren es 1909 bereits 348.000. Seit Anfang der 1870er-Jahre residierte der Märkische Knappschaftsverein in seinem Verwaltungsgebäude an der Victoriastraße 6 auf dem Gelände des heutigen Amtsgerichtes, das diesem Zuwachs weder beim Flächenangebot noch im Hinblick auf die Anforderungen einer modernen Verwaltungsorganisation entsprach. Nachdem sich 1903 Verhandlungen zum Ankauf benachbarter Grundstücke zur Erweiterung des Gebäudes zerschlagen hatten, entschloss sich der Knappschaftsvorstand zum Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes. Zwischenzeitlich trug sich die Knappschaft sogar mit Abwanderungsgedanken, da die Stadt keinen zentralen Bauplatz von den benötigten Ausmaßen zur Verfügung stellen konnte und zudem keine Einigung über den Kaufpreis des in städtischen Besitz übergehenden alten Gebäudes zu erzielen war. Das Problem wurde durch Clemens Erlemann gelöst, der dem Allgemeinen Knappschaftsverein 1904 nicht nur das Grundstück im Ehrenfeld kostenlos zur Verfügung stellte, sondern auch die Differenz von 100.000 M zwischen dem städtischem Angebot und der Forderung der Knappschaft beglich.

Die Knappschaft verband mit dem Neubau eine vollständige Neuorganisation der Verwaltung, auf die das Gebäude perfekt zugeschnitten sein sollte. Nachdem ein Architektenwettbewerb keine brauchbaren Ergebnisse erzielt hatte, wurde 1907 Ernst Thierbach zum Leiter der Knappschaftsbauamts berufen und ein Bauetat von 3.010.000 M bewilligt. Anfang 1908 begannen die Arbeiten auf Basis der mehrfach überarbeiten Pläne auf dem nahezu quadratischen Gründstück mit einer Seitenlänge von rund 125 m. Das Äußere des Gebäudes entsprach mit seiner barocken Opulenz vollständig der historistischen Formensprache des Kaiserreichs, obwohl zu dieser Zeit bereits neue architektonische Stilrichtungen wie der Jugendstil eine immer stärkere Verbreitung gefunden hatten. Die an der Pieperstraße gelegene Hauptfront wurde um 18 m zurückgesetzt, um die Monumentalität des zu dieser Zeit mit Abstand größten Bochumer Gebäudes zur Geltung kommen und Raum für einen repräsentativen Vorplatz mit Brunnen und Auffahrt zu lassen. Besuchern, die von der Königsallee über die direkt auf den Haupteingang zuführende Christstraße kamen, eröffnete sich so nach und nach ein eindrucksvoller Blick. Der hintere Teil des Geländes mit dem heutigen Parkplatz wurde als Fläche für Erweiterungsbauten vorgesehen. Innerhalb einer mit einem Ziergitter versehenen Umgrenzungsmauer entstanden hier vorerst Rasenflächen, ein Gemüsegarten und ein Spielplatz.

Die Vorderfront des repräsentativen, aber durch den Verzicht auf eine aufwändige Ornamentik dennoch vergleichsweise dezent gestalteten Gebäudes wurde vollständig in Werkstein ausgeführt. Vom Boden bis zum Erdgeschoss wurde grüner Dolomit verwendet, vom Erdgeschoss bis zum Dach heller Metarder Sandstein. Die beiden Türme erhielten rot getönten Stein, dessen Färbung sich zu den Spitzen hin intensivierte und mit den kupferbeschlagenen Dächern kontrastierte. (Die auf kolorierten Postkarten vielfach zu sehende Farbverteilung mit rotem Erdgeschossbereich entsprach nicht der Realität.) An den Seitenflügeln waren nur die Risalite und die Dachaufbauten in Werkstein eingefasst, die Zwischenflächen dagegen wie die gesamte Rückseite in Terranovaputz ausgeführt. Die Türme im Gebäudemittelpunkt symbolisierten zugleich den paritätischen Charakter der Knappschaft. Während der Südturm die Beratungszimmer der Werksvertreter beherbergte, saßen die Versichertenvertreter im Nordturm. Dazwischen lag der sich über zwei Etagen erstreckende große Sitzungssaal mit dem vorgelagerten Balkon.

Die Konzeption und Ausstattung des ungeachtet des äußeren Anscheins nach modernsten Erkenntnissen der zeitgenössischen Verwaltungsarchitektur errichteten Gebäudes und die Anordnung der Abteilungen entsprach den Anforderungen einer Systematisierung und Beschleunigung aller Arbeitsabläufe. Große Fenster und drei Innenhöfe – davon einer mit Glasdach – sorgten für Helligkeit und eine ausreichende Belüftung. Das Rückgrat bildete ein vom Keller bis zum Dachgeschoss durchlaufender Aktenspeicher mit 400.000 Fächern für bis zu 3 Mio. Akten, die über Aufzüge an die Arbeitsplätze gebracht werden konnten. Die Arbeitsplätze befanden sich in direkter Nähe des Speichers, was ebenso kurze Wege garantierte wie die im hinteren Gebäudeteil angeordneten 110 m langen Großraumbüros der Sachbearbeiter der eigentlichen Versicherungsabteilungen. Im vorderen Gebäudeteil befanden sich dagegen kleinere Spezialabteilungen, Sitzungszimmer, Registratur, Bibliothek sowie die Büros des Knappschaftsdirektors, der auch eine Dienstwohnung besaß, und seiner Stellvertreter. Auch in technischer Hinsicht brauchte das Gebäude keine Vergleiche zu scheuen. Es verfügte über drei verschiedene Heizungssysteme, Fahrstühle, eine Telefon- und Feuermeldeanlage, Tresore, eine „Wächterkontrollanlage“, eine Uhrenanlage mit Signalfunktion zur Anzeige von Arbeitsbeginn und -ende, eine Rohrpost sowie im Aktenspeicher eine automatische Entstaubung. Die künstlerische Gestaltung des Eingangsbereichs, der Flure, Treppenaufgänge und Repräsentationsräume umfasste zahlreiche Skulpturen und Bergmannsfiguren, Wandmalereien, Ansichten der Knappschafts-Krankenhäuser, Buntglasfenster und Holzvertäfelungen. Das Gebäude wurde am 18. Juni 1910 eingeweiht.

Nach dem Ersten Weltkrieg verfolgte die Reichsregierung Pläne zur Zusammenfassung aller deutschen Knappschaften unter dem Dach eines einzigen Trägers. Am 1. Januar 1924 trat das Reichsknappschaftsgesetz in Kraft. Der neu gegründete Reichsknappschaftsverein umfasste zwar das gesamte Reichsgebiet, doch war angesichts des breiten knappschaftlichen Aufgabenspektrums eine Zentralisierung der Verwaltung nicht möglich. Zugleich entstanden daher 16 Bezirksknappschaften, die als geschäftsführende Organe bzw. Verwaltungsstellen ohne eigene Rechtspersönlichkeit fungierten. Der Allgemeine Knappschaftsverein wurde daher zum Jahresende 1923 aufgelöst und in die neue Ruhrknappschaft überführt, die auch das Verwaltungsgebäude übernahm. Zwischen 1925 und 1926 entstand der Erweiterungsbau an der Pieperstraße, der mit dem Hauptbau durch eine Brücke verbunden ist, und direkt daneben eine Wohnhausgruppe mit Dienstwohnungen für leitende Angestellte und Läden.

Nachdem die Knappschaft bereits 1943 mehrere Bombentreffer erhalten hatte, folgte mit dem Angriff am 4. November 1944 die weitgehende Zerstörung. Das Gebäude brannte vollkommen aus. Bereits 1946 begannen die Planungen zum Wiederaufbau. Angesichts der massiven Schäden war ein weitgehender Abbruch des westlichen Gebäudeteils mit den Versicherungsabteilungen unvermeidbar. An der Vorderseite waren zwar die Sandsteinarchitektur und auch die Türme stark in Mitleidenschaft gezogen, doch hielten sich die Schäden hier insgesamt in Grenzen. Aus Kostengründen wurde aber von einer Rekonstruktion abgesehen. Um die Mittelbetonung des Gebäudes zu erhalten, entschieden sich die Verantwortlichen für den heute vorhandenen achtstöckigen Turm mit einfacher Steinverblendung. Am 24. Oktober 1952 wurde das neue Gebäude der Ruhrknappschaft nach rund sechsjähriger Bauzeit eingeweiht. Nachdem die Reichsknappschaft nach Kriegsende aufgelöst worden war, hatten die ehemaligen Bezirksknappschaften ihre Eigenständigkeit wiedergewonnen. 1969 wurde im Rahmen der Umstrukturierung des Ruhrbergbaus die Bundesknappschaft errichtet.

Dietmar Bleidick



Zurück zur Gesamtauswahl - Hier klicken!



^ Seitenanfang ^